Innere Abgrenzung: Wie du es schaffst, Nein zu sagen

Jede/-r kennt es: Man nimmt eine zusätzliche Aufgabe an, obwohl sich die Papiere schon auf dem Schreibtisch stapeln, man nimmt die Geburtstagseinladung eines Bekannten an, obwohl man eigentlich dringend Ruhe bräuchte, oder isst noch ein Stück Kuchen, obwohl man eigentlich längst satt ist. Alle diese Szenarien haben eins gemeinsam: Das Abgrenzen von etwas, was man nicht möchte oder einem nicht gut tut, fällt schwer! Sagst du auch manchmal ja, wenn du eigentlich „Nein“ meinst, oder sagst nein, wenn du eigentlich „Ja“ sagen willst? Ärgerst du dich im Nachhinein über Dinge, die du getan oder nicht getan hast, oder hast das Gefühl, dass du deine eigenen Bedürfnisse nicht gut spüren, kommunizieren und vertreten kannst? Damit bist du nicht allein! Lerne in diesem Beitrag, woran das liegen kann, und wie du dich innerlich auch mal abgrenzen kannst.

Was sind deine inneren Antreiber?

Was uns oft davon abhält, unsere Bedürfnisse zu erkennen und nach ihnen zu handeln, sind unsere sogenannten „inneren Antreiber“ (engl. „musturbations“, von „must“ = „müssen“). Innere Antreiber bezeichnen bestimmte Glaubenssätze und Einstellungen, die wir über Jahre oder sogar Jahrzehnte gelernt, internalisiert und fest in unserem Denken verankert haben. In Stresssituationen werden sie aktiviert und verstärken diese zusätzlich, indem sie uns dazu ermutigen, uns selbst unter Druck zu setzen. Beispielsweise kann uns der Glaubenssatz „Ich muss stark sein!“ in Krisensituationen davon abhalten, nach Hilfe zu fragen. Die gute Nachricht ist: Diese Antreiber lassen sich „abgewöhnen“, und wir können lernen, besser mit ihnen umzugehen.

Der renommierte Psychotherapeut und Coach Dr. Gert Kaluza beschreibt 5 innere Antreiber, die am häufigsten vorkommen. Hinter jedem dieser Antreiber steckt ultimativ ein bestimmtes Motiv oder Bedürfnis, das erfüllt werden will.

  1. Sei perfekt! Hinter diesem Antreiber steckt ein starkes Leistungsmotiv und ein starker Wunsch nach Anerkennung. Die positive Absicht der Menschen mit diesem Glaubenssatz, die oft sehr detailverliebt und akribisch sind, ist, fehlerfrei zu arbeiten. Stressig wird es für diesen Typ allerdings dann, wenn Zeitdruck entsteht und etwas schnell erledigt werden muss.
  2. Sei beliebt! Hinter diesem Antreiber steckt der starke Wunsch danach, akzeptiert zu werden und „dazuzugehören“, in Kombination mit der Angst vor Ablehnung und Kritik. Menschen mit diesem Antreiber stellen oft ihre eigenen Bedürfnisse hinter die Bedürfnisse anderer, um es allen anderen möglichst rechtzumachen. Stressig wird es für diesen Typ dann, wenn er in Konfliktsituationen gerät oder eine unpopuläre Meinung vertritt.
  3. Sei vorsichtig! Menschen mit diesem inneren Antreiber haben ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle und Sicherheit. Sie gehen ungern Risiken ein und stattdessen lieber auf Nummer sicher. Sie mögen es, vorauszuplanen, und sowohl Entscheidungen als auch spontane Handlungen fallen ihnen schwer. Stressig wird es für diesen Typ dann, wenn etwas Unerwartetes oder Unplanbares ansteht, bei dem er nicht weiß, wie er es bewältigen kann.
  4. Sei stark! Menschen mit diesem inneren Antreiber haben einen starken Wunsch nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Es fällt ihnen schwer, Schwäche zu zeigen und nach Hilfe zu fragen und sie tendieren so dazu, Probleme mit sich selbst auszumachen, anstatt sich jemandem anzuvertrauen. Stressig und unangenehm wird es für sie dann, wenn sie vor einer Herausforderung stehen, die sie nicht alleine bewältigen können.
  5. Ich kann nicht! Hinter diesem Antreiber steckt der Glaubenssatz, dass man selbst sowieso nichts hinbekommt, und sich somit lieber auf andere verlässt. Menschen mit diesem Antreiber haben eine niedrige Selbstwirksamkeit und trauen sich selbst nicht viel zu. Als Konsequenz davon übernehmen sie oft Routineaufgaben, um nicht mehr zu tun als das, wozu sie sich fähig fühlen. Stressig wird das Ganze dann, wenn eine besonders schwierige Aufgabe ansteht.

3 Schritte zur inneren Abgrenzung

Und nun die Frage an dich: Wovon wirst DU angetrieben? Bewusstsein ist hier der erste wichtige Schritt zur Veränderung: Sobald du deine(n) innere(n) Antreiber identifiziert hast – oft sind es gleich mehrere -, hat er dich nämlich schon nicht mehr so stark im Griff. Jetzt kannst du ihn „ertappen“, wann immer er sich von innen meldet, und kannst dich Schritt für Schritt für alternative Denk- und Verhaltensweisen entscheiden. Als nächstes kannst du dann durch verschiedene Ansätze wie z.B. die Kultivierung von positiveren Glaubenssätzen, aber auch Hypnose oder Psychotherapie deine inneren Antreiber in den Griff bekommen.

Hier folgen noch 3 Schritte zur erfolgreichen inneren Abgrenzung:

1 Werde dir deiner eigenen Bedürfnisse bewusst.
Oft können wir uns deswegen nicht abgrenzen, weil wir gar nicht so genau wissen, was wir eigentlich brauchen oder was uns gut tut. Deshalb ist der erste wichtige Schritt, dass wir uns selbst besser kennenlernen. Hierbei können Achtsamkeitsübungen nützlich sein, die uns durch gezielte Fokusübungen zu einer Steigerung der (Körper-)Wahrnehmung verhelfen.

2 Respektiere deine Bedürfnisse und drücke sie aus.
Sobald wir wissen, was wir brauchen und wollen, ist es an der Zeit, diese Bedürfnisse auch im Außen zu vertreten, indem wir sie gegenüber anderen Menschen kommunizieren. Hierfür eignet sich das Modell der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg. Wenn bei dir eine Grenze überschritten wird, kannst du dich an die folgenden vier Schritte halten:

Schritt 1: Beschreibe deine Wahrnehmung der Situation, ohne zu werten.
Schritt 2: Identifiziere das Gefühl, was bei dir durch die Situation ausgelöst wird.
Schritt 3: Erkenne das Bedürfnis, das dahintersteckt.
Schritt 4: Informiere dein Gegenüber, wie er dein Bedürfnis am besten erfüllen kann.

3 Halte Gegenwind aus.
Gerade wenn wir damit anfangen, neue Grenzen zu setzen, kann es sein, dass uns viel Gegenwind entgegenkommt. Menschen verstehen vielleicht nicht, warum wir uns auf einmal eine ganz andere Verhaltensweise von ihnen wünschen. Hier ist es wichtig, dass wir diesen Widerstand aushalten und trotzdem an unseren Bedürfnissen festhalten.

Wenn es dir also gelingt, deine inneren Antreiber zu identifizieren, und du stattdessen neue, förderliche und positive Einstellungen entwickelst, kannst du Stress abbauen, gehst gelassener durch den Alltag und stärkst ganz nebenbei noch deine Resilienz. Viel Erfolg!